Faszien

multifunktionale Hülle für Körper, Organe, Muskeln

Für ein effektives Training ist ein Mindestmaß an -allgemeinem und theoretischem- Verständnis erforderlich.

Der Zusammenhang von physischem und mentalem Training ist bei Leistungssportlern offensichtlich - aber auch jeder Otto-Normalverbraucher kann nur profitieren, wenn er/sie bei einem -vordergründig- körperlichen Training auch den Geist hinzunimmt und bewußt, konzentriert und mit allen Sinnen Übungen mit System durchführt.

In diesem Sinn im Folgenden eine Auswahl interessanter Texte von diversen Fachleuten rund um das Thema Faszie mit der Empfehlung zur selbstständigen, weiterführenden Lektüre (siehe Literatur-Quellen und Video-Links ganz unten).


Haltgeber und Netzwerk

Zu den Faszien zählen alle kollagenen faserigen Bindegewebe des Körpers (Kollagen ist ein strukturgebendes Protein). Unter anderem sind dies die Hüllen für unsere Knochen, Muskeln und inneren Organe. Diese Gewebe-Schichten verleihen dem Körper seine innere Struktur und seine äußere Form. Sie umhüllen, stützen und verbinden alle seine Teile, auch so feine Strukturen wie die Nerven, die Blutgefäße, das Gehirn, die Augen, jede Körperzelle und jeden Bestandteil der Körperzellen. Ohne Faszien hätten wir weder Form noch Inhalt. Schon beim Embryo bilden die Faszien das Gewebe des werdenden Lebens, das den neuen Menschen bis ins hohe Alter begleiten wird.

Lebendiges Gewebe

Die Faszien sind ein eigenständiges Organ mit zahlreichen Nerven-Enden, Schmerz- und Bewegungs-Sensoren - das "Organ" Faszie reicht bis in die winzigsten körperlichen Einheiten. ...

Oft werden Faszien mit Muskel-Gewebe verwechselt. Doch in Wirklichkeit sind die Muskeln und die einzelnen Muskel-Fasern eingehüllt in Faszien, ähnlich wie das Fruchtfleisch einer Zitrusfrucht (z.B. Orange) von den weißen Innenhäutchen umhüllt ist. ...

Faszien haben nicht nur physiologische Aufgaben (wie z.B. Elastizität und Schutzfunktion, Nährstofftransport, Kraftübertragung): Sie bilden auch eine Brücke zwischen unseren Gefühlen und unserer Körperlichkeit. Feinfühlig registrieren sie unsere Bewegungsabläufe und unsere Körperhaltung - sei es beim stundenlagen, gestressten Arbeiten am Computer mit angespannten hoch-gezogenen Schultern, beim Sporttreiben mit Ehrgeiz und Anstrengung oder beim lebensfrohen, geschmeidigen Tanzen.

Wandel des Faszienbegriffs

Die Tatsache, dass bindegewebige Strukturen und damit die Faszien so unterschiedlich eingeschätzt werden, findet ihre Entsprechung in der noch uneinheitlichen Benennung dieser Strukturen. Wurden bislang nur derbe bindegewebige Strukturen wie dicke, feste Membranen, etwas am Oberschenkel, als Faszien bezeichnet, wird ihnen nach den neueren Begrifflichkeiten auch die lockere, unter der Haut liegende (subkutane) Schicht von Bindegewebe zugerechnet, ebenso das zwischen den Muskelfasern liegende Bindegewebe. Alle bindegewebigen Umhüllungen im Körper -derbe, feine oder lockere- werden den Faszien zugerechnet. ... Die Faszien besitzen zumeist keine eindeutig definierten Grenzen, sondern sie gehen ineinander über. So entsteht ein zusammen-hängendes Gewebe, dessen Schichten sich in ihrer Zusammensetzung unterscheiden.

Verschiedene Bindegewebstypen

Im Körper stellt das Netz des Bindegewebes das größte Ganze, noch größer als unsere äußere Hülle, die Haut. Zwischen den (Bindegewebs-)Zellen befindet sich eine Flüssigkeit, die in der Zusammensetzung reinem Meerwasser ähnelt und gemeinsam mit den Zellen das Grundgerüst des Bindegewebes bildet. Je nachdem, wie sich die Zellen im embryonalen Stadium gemäß dem menschlichen Bauplan weiterentwickelt haben, erfüllen sie nun verschiedene Aufgaben. Wir unterscheiden die folgenden wichtigsten Typen von Bindegewebe bzw. Faszien:

  • Lockeres, faseriges Bindegewebe ... umhüllt als weitmaschiges Netz schützend und stützend Muskeln und Organe und wirkt als Gleitschicht und Füllmaterial im ganzen Körper.
  • Elastisches Bndegewebe ... ist in Strukturen, die viel gedehnt werden, wie z.B. in der Lunge, der Aorta, der Unterhaut, der Gallenblase, der Harnblase und in vielen Bändern (Ligamenten).
  • Straffes Bindegewebe ... enthält viel stabilisierende Kollagenfasern, die dem Bindegewebe Festigkeit geben, wie z.B. als Organhäute, harte Hirnhaut und Knochenhaut.
  • Retikuläres Bindegewebe ... enthält wenig kollagene Fasern, dagegen viele freie Zellen, v.a. Zellen des Immunsystems - es stellt das Grundgerüst der lymphatischen Organe dar (Milz, Lymphknoten, Mandeln, Knochenmark, Darm, Leber).
  • Stützgewebe ... enthalten knorpelbildende Zellen (Chondrozyten) in Knorpelgeweben und knochenbildende Zellen (Osteozyten) in Knochen.
  • Embryonales Bindegewebe ... kommt nur in der Embryonal-Entwicklung vor und stellt die "Mutter aller Bindegewebe" dar, da alle spezielleren Gewebearten aus diesem Ur-Gewebe entstehen.

Die Funktionen der Faszien

Trotz vieler neuer Erkenntnisse zählt man die bindegewebigen Strukturen noch immer zu den passiven Geweben, die vom aktiven Muskelsystem unterschieden werden. ... Dabei haben die Faszien zahlreiche Funktionen im Körper. Sie ...

  • schützen, stützen und formen den Körper.
  • sind wichtig für die Kommunikation zwischen den Muskeln.
  • verbinden die Muskeln mit dem Skelett.
  • sind bei allen Bewegungen zuständig für die Kratübertragung, An- und Entspannung und den Grad der Dehnung
  • versorgen de Organe, denn in den Faszienstrukturen verlaufen sämtliche Gefäße wie Arterien, Venen, Lymphe, Nerven.
  • sind wichtig für die Körperwahrnehmung (Propriozeption = Eigenwahrnehmung).
  • sind ein Teil des Immunsystems.
  • beeinflussen unsere Stimmung und spiegeln sie wider.
  • regulieren den Wärmehaushalt.

Effiziente Energieumwandlung

Bei dynamischen Bewegungen (Gehen, Laufen...) wird elastische Energie aufgebaut, gespeichert und im richtigen Moment als kinetische Energie (Bewegungsenergie) wieder losgelassen. Hier kann man sich die Faszien als Gummiseile vorstellen, die eine hohe Effizienz gewährleisten. Somit sind die Faszien nicht nur Hilfsmittel der Muskeln, umgekehrt helfen die Muskeln bei der Spannungseinstellung der Faszien, um die maximale Energie-Speicherung  und -Abgabe zu erreichen.

Rezeptoren im Bindegewebe

Die Rezeptoren des Bindegewebes sind bisher in der großen Rückenfaszie (fascia thoracolumbalis) und in der Fußsohlenfaszie (Plantarfaszie) nachgewiesen worden. ... Die Faszien mögen also durchaus in der Lage sein, die Stabilität des Rückens und eventuell auch anderer Strukturen durch die aktive Anspannung zu beeinflussen >

-> glatte Muskulatur ... ist nicht willkürlich steuerbar und beeinflusst unter anderem die Funktion, Anspannung und Form der inneren Organe. ... Diese Muskulatur wird durch Bewegung dräniert, was wichtig ist für die Funktionsfähigkeit der schützenden, formgebenden Faszien.

Positionsmeldung in Echtzeit

Laut der italienischen  Anatomie-Professorin Carla Stecco befinden sich in den Aufhängebändern (retinaculae) des Fußes und der Hand, wahrscheinlich aber an sämtlichen Gelenken wie auch an der Wirbelsäule eine hohe Anzahl von Wahrnehmungs-Rezeptoren (Propriozeptoren), anhand derer das Nervensystem die Stellung der einzelnen Körperteile im Raum bestimmt. Das Halten des Gleichgewichts passiert dabei automatisiert, die Rückmeldungen an das zentrale (unwillkürlich gesteuerte) Nervensystem verlaufen innerhalb von Millisekunden. Das bewusst steuerbare Nervensystem hätte für diesen Prozess eine viel zu lange Übertragunszeit.

Ein eigenes Wahrnehmungssystem

Die auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Sichtweise besteht darin, dass das kollagene Bindegewebe die Spannung des Körpers mitbestimmt, die Muskulatur beeinflussen kann und darüber hinaus ein eigenes Wahrnehmungssystem des Körpers darstellt. Das Bindegewebe ist als ein aufgespanntes, feinmaschiges Netz zu betrachten, in das die Knochen, Muskeln, Organe und Gefäße eingebettet sind.

Das Ganze im Blick

Der große deutsche Arzt Dr. Rudolf Virchow hat einen wesentlichen Fortschritt der Medizin eingeleitet, indem er im Jahr 1858 seine Zellenlehre begründete und Krankheiten ganz allgemein als Störungen im Gefüge der Zellen definierte. Allerdings führte diese Hypothese zu einem Denken in der Medizin, das letztendlich in ein Verständnis der Heilkunde als Reparatur-Methode mündete. Man konzentrierte sich auf die Zelle und ihre Bestandteile und suchte nach Mechanismen, diese zu reparieren. ... In vielen Gebieten der Medizin war dies erfolgreich. Nur führte dieser Ansatz insgesamt zu einem Verlust der Sicht auf das Gesamtsystem Mensch samt seiner Beschwerden, zugunsten des Fokus auf das Einzelne. ...

Die Zellen -als kleinste lebende Einheiten sind eingebettet in die sogenannte extrazelluläre Matrix (EZM). ... Diese Matrix ist der Lebensraum für alle Zellen, keine einzelne Zelle kann für sich allein überleben. Die Matrix steht für Informationsfluss im Körper, für Ernährung der Zellen, für den Energieefluss, für die Immunreaktionen und bestimmt nicht zuletzt die Gestalt des Körpers mit. In sie münden Nerven, Lymph- und Blutgefäße. Als Medium für die Ernährung und damit den Stoffwechsel der Zellen ist das Wasser ganz entscheidend - der menschliche Körper besteht zu (ca.) 70% Prozent aus diesem Element. Eine Reihe von Behandlungstechniken für die Faszien zielen daher auf den Wasserhaushalt und den Flüssigkeitsaustausch ab.

Das System der Grundregulation

... Mitte des vergangenen Jahrhunderts stellte Professor Alfred Pischinger das System der "Grundregulation" dar und betonte neben der Wichtigkeit der Zellen auch die Bedeutsamkeit des sie umschließenden Bindegewebes. Das System der Grundregulation beschreibt die Zelle in ihrem Umgebungsmilieu, der extrazellulären Matrix. Alle freien Substanzen, die im Körper Funktionen erfüllen, z.B. Sauerstoff und Blutglukose, hormonelle Informationen, Botenstoffe aus den Nervenenden sowie elektrische Impulse gelangen nur über das extrazelluläre Milieu zu jeder Zelle. Seit der Beschreibung der Grundregulation ... wird die Matrix nicht mehr als passives Transport-Gewebe gesehen, sondern als dynamische, lebende Komponente. Je länger wir verhindern, dass sich Abfallstoffe in der Matrix ablagern und diese nach und nach verstopfen, desto länger bleiben wir gesund und am Leben. Denn die Zelle erkrankt nicht von innen, sondern aufgrund von Einflüssen aus dem sie umgebenden Milieu.

Quelle: Faszientraining (GU 2015 , Dr.med. Siegbert Tempelhof / Daniel Weiss / Anna Cavelius)



Wissenschaftliche Beiträge führender Faszien-Forscher weltweit


Die Faszie als körperweites Kommunikationsorgan

...Bei Findley und Schleip (2009) umfasst die Faszie sämtliche Fasergewebe, die den Körper als Binde-Gewebe durchziehen ... "ein zusammenhängendes Spannungsnetzwerk, in dem die Faserdichte und -anordnung jeweils lokal an die Spannungserfordernisse angepasst ist".

Pischinger (2007) beschreibt die Faszie als das umfangreichste aller Organsysteme, da sie als einziges System in Kontakt mit allen andere Organen des Körpers steht.

Finando und Finando (2011) ... zeigen, dass das Fasziensystem strukturell, funktionell und medizinisch viel mit dem traditionellen Meridiansystem der Akupunktur gemeinsam hat. ... Eine fasziale Beteiligung an Funktions-störungen und Krankheiten ist häufig nachweisbar und manche Autoren vertreten die Meinung, dass die Faszie bis zu einem gewissen Grad an jeder Form von Krankheit beteiligt sein muss (Paoletti 2006, Pischinger 2007).

Die Faszie ist das einzige System, das Verbindung zu allen physiologischen Funktionen im Körper hat ... [wie] ein Metasystem, das sämtliche anderen Systeme verbindet und beeinflusst (Langevin 2006 , Langevin und Yandow 2002).

..."Es gibt keine lokal begrenzten Erkrankungen" (Spencer 2007).

 

Regulation der Faszienarchitektur

Als wesentlicher Mechanismus bei der strukturellen Anpassung des Körpers, wenn er eingesetzt, überbeansprucht oder auch verletzt wird, wird häufig das sog. Wolffsche Transformationsgesetz (>> wiki) von 1892 zitiert. ... Wir wissen inzwischen, dass das Wolffsche Gesetz nicht nur für Knochen gilt, sondern für praktisch alle Bindegewebearten, also auch für Sehnen, Ligamente etc. ... Was genau stellt die Verbindung zwischen der "funktionellen Beanspruchung" mit der anatomischen Struktur her? ... Chen und Ingber (2007) beschreiben, wie mechanische Kräfte, die sich durch das System hindurch fortpflanzen, schließlich das Zytoskelett und die Kernmatrix erreichen und dort durch mechano-chemische Signalumwandlung biochemische und Transkriptionsveränderungen hervorbringen können. Daneben wurden jedoch auch noch verschiedene andere Signalmechanismen untersucht. ... Jeder dieser Mechanismen geht von einer bestimmten Energieform aus, die ... durch die wässrig-flüssige Phase des Bindegewebes hindurchgeleitet wird...

  • Elektrische Felder und piezoelektrischer Effekt ...
  • Licht bzw. Biophotonen ...
  • Muskelgeräusche ...

... als ersten Einblick in die Möglichkeiten der nichtneuralen Energie- und Informationsübertragung im menschlichen Körper und die Beteiligung der Faszie an diesen Vorgängen ... Phänomene, die sich bisher nur durch Indizien belegen lassen. Die Untersuchung des hier vorgestellten Phänomens ist ohnehin eine Herausforderung, denn die normalerweise gängigen Messmethoden können dabei nicht angewendet werden - man kann nicht, wie beim Nervensystem, einfach eine Mikroelektrode in die Faszie einführen und die Art der dort stattfindenden Informationsabläufe ableiten.

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.2.5.2-8, James L. Oschman PhD


Die Faszie als körperweites Kommunikationsorgan: Propriozeption

... "Propriozeption" ist entsprechend der neurophysiologischen Definition zu verstehen als die Fähigkeit, Ort, Lage, Ausrichtung und Bewegung des Körpers und seiner Teile wahrzunehmen. Im engeren Sinne könnte sie auch als die bewusste und unbewusste Wahrnehmung der Gelenkstellungen bzw. -bewegungen definiert werden (Skoglund 1973 , Fix 2002). ... Das morphologische Korrelat der Propriozeption sind ... mechanosensible Nervenendigungen (Mechanorezeptoren) sowie die dazugehörigen afferenten Neuronen. Sie lieferen die zentripetalen Signale, die für die Kontrolle der Fortbewegung und die Stabilität der Körperhaltung erforderlich sind (Barker 1974).

... Das primäre Bindegewebe des Körpers ist das embryonale Mesoderm: Es bildet die Matrix und Umgebung, in der sich die Organe und Strukturen des Körpers differenzieren und in der sie im wahrsten Sinne des Wortes "eingebettet" sind. ... Das primäre "Binnengewebe", d.h. das undifferenzierte mesenchymale Bindegewebe, besteht aus drei Grundbausteinen: Zellen, Zwischenzellraum und Fasern. ... Das Mesoderm als "Binnengewebe" hat hauptsächlich eie Mittlerfunktion im Sinne von "Koppeln" (Verbinden), aber auch von "Entkoppeln" (Raum schaffen und Bewegung ermöglichen). ... Das Konzept der zwei Konnektivitätsmuster lässt sich auch auf die Faszienanatomie übertragen, denn bei den Faszien des Bewegungsapparats gibt es mechanisch und funktionell zwei allgemeine Erscheinungsformen:

  • Die Faszien der Muskeln grenzen an Räume an, die mit lockerem, aerolären Bindegewebe ("Verschiebegewebe") ... angefüllt sind. ... In Spalträumen ... könnten Mechanorezeptoren, die durch Kompression aktiviert werden, das Gehirn über die Bewegungen und Verschiebungen des Fasziengewebes ... informieren.
  • Intermuskuläre ... Faszien dienen als Insertionsflächen für Muskelfasern. ... Bei entsprechender Ausstattung mit Dehnungsrezeptoren könnten solche Faszienblätter das Gehirn über Spannungen im Fasziengewebe im Zusammenhang mit der Kraftübertragung informieren.

... Bindegewebe und Faszien sind dicht innerviert (Stilwell 1957 , Schleip 2003b , Stecco et al. 2007a , Benjamin 2009) ...

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.2.2.1-3, Jaap C. van der Wal MD,PhD


Das Zwerchfell ~ ein Faszien-Muskel & mehr als nur ein Atemmuskel ...

Bei der Inspiration überträgt sich die Kaudalbewegung des Zwerchfells über die Baucheingeweide auf den perinealen Beckenboden, der den nach unten gerichteten Druck aufnimmt. Nach kranial [=nach oben] interagiert das Zwerchfell entsprechend mit dem zervikothorakalen Diaphragma [= Pleurakuppeln plus deren Aufhängung an der Halsfaszie] ... Diese funktionelle Verbindung mit dem zervikothorakalen Diaphragma ermöglicht auch die kontinuierliche Revitalisierung verschiedener lokaler Strukturen.

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass das Zwerchfell keineswegs nur ein Inspirationsmuskel ist, sondern zur Vitalisierung des gesamten menschlichen Körpers beiträgt.

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.1.10.7, Serge Paoletti DO, MROF


... Zwerchfell und Stabilität

Die Atmungsaktivität erhält uns am Leben, wohingegen die Bewegungen des Zwerchfells ausschlaggebend sind für aufrechte Körperhaltung, dynamische Bewegungen und die Schwingungskommunikation. ... Das Zwerchfell ist die Hauptkuppel im Brustkorb und kann als Kommunikationszentrum des Körpers beschrieben werden. Bei jeder Einatmung (ca. 28.000 mal täglich) erzeugt seine Bewegung Schwingungskommunikation mit dem restlichen Körper und löst damit verschiedenste Reaktionen aus.

Quelle: Die MELT-Methode (riva 2015 , Sue Hitzmann), Kap.6


Fasziale Kraftübertragung: die Extrazellulärmatrix als Metamembran

Trotz der biblischen und aristotelischen Neigung des Menschen, Teile zu benennen, müssen Anatomen ... zugeben, dass sich der Mensch organisch aus einer einzigen Eizelle entwickelt und nicht wie ein Auto aus Einzelteilen zusammengesetzt wird. Die üblichen technischen Begriffe, mit denen wir den Körper gerne beschreiben -das Herz ist eine Pumpe, die Lunge ein Luftbalg, das Gehirn ein Computer- fördern unterschwellig die Vorstellung isolierter Abläufe und voneinander getrennter Systeme. Doch ... sollten wir auch im klinischen Alltag nicht vergessen: dass unser Körper vom Zeitpunkt der Empfängnis an immer und überall in einem beständigen Zusammenspiel funktioniert.

Etwa ab dem 14.Tag der Embryonal-Entwicklung beginnen die proliferierenden und sich differenzierenden Zellen eine ExtraZellulär-Matrix (EZM) zwischen sich zu bilden (Moore und Persaud 1999). Dieses feine, netzartige interzelluläre Gel wird für die meisten Zellen zur Primär-Umgebung und enthält in wechselnden Anteilen Fasern, klebrige Proteoamin-Glykane und Wasser mit verschiedenen zirkulierenden Metaboliten, Zytokinen und Mineralsalzen (Williams 1995). In den Binde- und Stützgeweben wird die EZM von den Zellen so verändert, dass daraus Knochen, Knorpel, Ligamente, Aponeurosen usw. entstehen, in denen die EZM am Ende häufig den größten Teil des "Gewebes" ausmacht (Snyder 1975). Zellen und EZM wachsen gemeinsam heran und bilden gemeinsam einen Organismus, der von der EZM vereint, verbunden und zusammengehalten wird.

Über Hunderte und Tausende von ... Verbindungsmolekülen an der Zelloberfläche ist die EZM fest mit der Zellmembran und durch sie hindurch auch mit dem Zytoskelett verbunden (Ingber 1998). Kräfte von außerhalb der Zelle können über diese Haftverbindungen in das Zellinnere übertragen werden (Ingber 2006a). So wird verständlich, dass jede Zelle nicht nur ihr chemisches Milieu "schmeckt",  sondern auch ihre mechanische Umgebung "fühlt" und darauf reagiert. Aus dieser Erkenntnis entwickelte sich das ... Gebiet der "Mechanobiologie" (Ingber 2006b). Die Übertragung von Kräften kann auch in Gegenrichtung erfolgen: aus der Zelle hinaus in die EZM - im Falle der Muskel- oder (Myo-)Fibroblasten-Kontraktion, die über die Zellmembran auf die umgebende EZM übertragen wird (Tomasek et al. 2002).

Bindegewebszellen sind besonders geeignet, um ein System wie die EZM ... zu erhalten und zu verbreiten: Damit viele Trillionen Zellen als Organismus aufstehen und herumlaufen können, muss die EZM

  • ausnahmslos jedes Gewebe umgeben ...
  • durchlässig genug sein, um allen Zellen die Teilhabe am Stoffwechselfluss zu ermöglichen ...
  • innerhalb des Körpers ganz unterschiedliche Form annehmen können - vom harten Knochen ... bis hin zum Glaskörper des Auges
  • sich im Laufe der Zeit immer wieder umstrukturieren können, um veränderlichen biomechanischen Bedingungen des Wachstums, der Funktion, der Heilung und Wiederherstellung zu genügen
  • Kräfte mit maximaler Präzision ... von einem Gewebe auf das andere übertragen können.

Die EZM fungiert für den Organismus als eine Art "Metamembran": sie schafft organische Grenzen, leitet und begrenzt Bewegungen, schützt empfindliche Gewebe und erhält uns Tag um Tag in unserer bekannten, wiedererkennbaren Form (Juhan 1987 , Varela und Frenk 1987). ... > Biotensegrität (>> biotensegrity.com)

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.3.4.1, Thomas Myers LMT 


Fasziale Kraftübertragung: das Gewebe des multimikrovakuolären Gleitsystems

Die traditionellen Konzepte, Begriffe und Angaben zur natürlichen Verschieblichkeit der Organe scheinen in einem gewissen Widerspruch zur anatomischen Realität zu stehen. Die üblichen Beschreibungen verschiedener Faszien, Binde- und aerolärer Gewebe ... gehen immer von abgegrenzten Strukturen aus. Dagegen zeigen Bilder aus der Raster-Elektronenmikroskopie, dass das Gesamtsystem gar nicht aus einzelnen, übereinanderliegenden Schichten besteht. In Wirklichkeit gibt es eine einzige zusammenhängende Gewebearchitektur mit unterschiedlichen Spezialisierungen. ... Wir nennen dieses Gewebe "multimikrovakuoläres kollagenes (dynamisches) Aufnahmesystem" (engl. "multimicrovacuolar collagenous [dynamic] absorbing system, MVCAS).

 

Unsere Beobachtungen resultieren aus einer über 20-jährigen Erfahrung mit der Durchführung und Weiter-Entwicklung komplexer Beugesehnen-Verpflanzungen. ... Die In-vivo-Ergebnisse zeigen, was eine Untersuchung an totem Gewebe nicht zeigen kann: Das MVCAS ist als eine zusammenhängende Struktur anzusehen, die sich aus Billionen dynamischer, mikrovakuolärer, multidirektionaler Filamente zusammensetzt. Diese sind miteinander verwoben und begrenzen vakuoläre Räume, die in unregelmäßigen, fraktalen oder pseudogeometrishen Anordnungen vorliegen.

 

Die Mikrovakuolen haben einen Durchmesser von einigen bis zu einigen Dutzend Mikrometern, eine Länge zwischen einigen Mikrometern und mehreren Millimetern und bieten insgesamt ein eher unorganisiertes, chaotisches Erscheinungsbild. ... Das Muster ist pseudogeometrisch, polygonal und tendenziell ikosaedrisch. ... Das gesamte Netzwerk enthält ein intensiv (70%) hydriertes Proteoglykangel. Der Lipidgehalt ist hoch (4%). Die Begrenzungen der ineinander verschachtelten Vakuolen bestehen zu 75% aus Kollagen und zu 25% aus Elastin.

 

Der Aufbau des MVCAS, das wir untersuchten, schien sich variabel nach der erforderlichen Funktion zu richten. Das Kollagen-Gerüst und die Binnenräume der Vakuolen verleihen Form und Stabilität. Das Gel ermöglicht Formveränderungen des Gewebes bei Bewegung, ohne dass sich dabei das Volumen ändert. Je weiter verschieblich eine Struktur ist, umso kleiner und dichter sind die Vakuolen. Die mikrovakuoläre Struktur ist gestaltbeständig, sie kann viele Formen annehmen und sich an die jeweiligen physikalischen Bedingungen anpassen, hat aber andererseits eine Art Gedächtnis, das es ihr erlaubt, immer zur Ausgangslage zurückzukehren.

Dieses Strukturwerk sorgt dafür, dass sich einzelne Strukturen ungehindert bewegen können, ohne dass ihre Umgebung mitgezogen wird. Es ist eine hoch effiziente Konstruktion, die hohe mechanische Festigkeit und geringes Gewicht mit thermodynamischer Energieerhaltung, Reibungsminderung und leichter Verformbarkeit kombiniert.

Eine Sehne wird nicht über die Synovia, sondern, wie jedes Organ, durch ein eigenes Gefäßnetz versorgt. Die Sehne kann nur optimal funktionieren, wenn sie von ihrer ursprünglichen Sehnenscheide umgeben und von ihrem ursprünglichen Gefäßbett versorgt wird. Nachdem wir diese Zusammenhänge einmal erkannt hatten, veränderte sich unsere chirurgische Herangehensweise bei Sehnenverpflanzungen. Das MVCAS ist wichtig für die Versorgung der darin eingebetteten Strukturen und bildet das Gerüst für die Blut- und Lymphgefäße.

 

Das MVCAS ist offenbar überall im Körper vorhanden und ermöglicht es den einzelnen Strukturen, sich ... an die äußere Umgebung anzupassen. ... So gesehen kann das gesamte Strukturgerüst des menschlichen Körpers als ein großes Kollagen-Netzwerk angesehen werden, dessen Eigenschaften entsprechend den Anforderungen ... und Belastungen ... variieren. In der Tat sind das MVCAS und der menschliche Körper eigentlich ein und dasselbe Gewebe.

... Sollte man es als einen Grundbaustein des Lebens ansehen, da es doch in allen lebendigen Strukturen und auf vielen Ebenen nachweisbar ist? Könnte es sogar die Initialstruktur des Lebens sein - ein Netz zusammenhängender, selbst organisierter Vakuolen ...?

 

Alles deutet darauf hin, dass das MVCAS der Baustein eines organübergreifenden Netzwerks ist, auf unterschiedlichen Ebenen arbeitet und drei wichtige Funktionen erfüllt:

  • auf höchst anpassungsfähige und energiesparende Art und Weise auf mechanische Reize aller Art zu reagieren
  • Strukturen durch einen bewegungsbegleitenden  Informationsfluss und anschließende Rückführung zum Ausgangszustand zu bewahren und
  • die Autonomie, aber auch den Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Funktionseinheiten sicherzustellen.

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.3.6, Jean Claude Guimberteau MD


Das Fasziengewebe: die Extrazellulärmatrix

Die extrazelluläre Matrix besteht im Wesentlichen aus drei Komponenten: Bindegewebsfasern (Kollagenfasern und elastische Fasern), Grundsubstanz (aus Glukosamino-Glykanen und Proteo-Glykanen) und nicht kollagenen Verbindungsproteinen.

 

Kollagenfasern in der Grundsubstanz

sind weiß. ... Der Kollagen-"Turnover" (= Rekonstruktionsphase) dauert normalerweise etwa 300 bis 500 Tage (Fleischmajer, Olsen und Kühn 1990 , Currier und Nelson 1992). ... Die dreidimensionale Anordnung der Kollagenmoleküle, aus denen Fibrillen und Fasern aufgebaut sind, orientiert sich an der vorherrschenden Beanspruchung des Gewebes. ... Wenn das Gewebe immer wieder auf die gleiche Art belastet wird, richten sich die Kollagenfasern entlang der resultierenden Kraftlinien aus. Sie verlaufen daher alle parallel ... geformtes Bindegewebe kommt u.a. in Sehnen, Ligamenten und Aponeurosen vor.

Wenn das Gewebe immer wieder aus unterschiedlichen Richtungen belastet wird, entsteht eher ein gitterartiges Maschengeflecht, ... das in Gelenkkapseln  ...  sowie im intraneuralen und intramuskulären Bindegewebe zu finden ist.

Die Grundsubstanz befindet sich zwischen den verflochtenen Kollagenfasern, und das darin gebundene Wasser ermöglicht es den Fasern, sich reibungsfrei gegeneinander zu verschieben. Bei krankhaften Prozessen, insbesondere bei einem Verlust von Grundsubstanz, rücken die Kollagenfasern näher zusammen  und bilden sogenannte pathologische Crosslinks [Querverbindungen] aus ... was die Entfaltungsmöglichkeiten des Kollagen-Netzwerks einschränkt - am Patienten zeigt die Untersuchung in diesem Fall eine Bewegungseinschränkung (Akeson et al. 1973-1992 , Brennan 1989).

Um pathologische Crosslinks im Gewebe zu lösen, hilft eine therapeutische Mobilisation mit intermittierenden Zugreizen. Dies regt die Fibroblasten zur vermehrten Bildung (+ 200%) von Kollagenase an, einem Enzym, das die pathologischen Molekülbrücken wieder abbaut (Carano und Siciliani 1996).

 

Elastische Fasern

finden sich v.a. im lockeren Bindegewebe, im elastischen Knorpel, in der Haut, den Gefäßwänden sowie Sehnen und Ligamenten [Bändern]. ... Elastische Fasern sind stark verzweigt und vielfach untereinander verbunden ; dadurch entsteht die typische netzartige Struktur. Die Fasern können sich um 100-150% dehnen und speichern dabei potenzielle Energie, die sie nach der Belastung wieder in ihren Ausgangszustand zurückkehren lässt.

 

Grundsubstanz

Proteo-Glykane (PG) und Glukosamino-Glykane (GAG) haben viele unterschiedliche Funktionen. Da sie Kollagen- und Elastin-Fasern sowie  Zellen und Wasser binden, stabilisieren sie das Bindegewebe. Vor allem aber nehmen sie Kräfte auf ... und schützen so das Kollagennetz vor Überlastung. Am Gelenkknorpel oder im Bereich ... der Bandscheiben hat die Grundsubstanz die wichtige Aufgabe, einwirkende Druckkräfte u dämpfen (Buckwalter, Hunziker und Rosenberg 1988 , Eyre et al. 1989).

Die starke negative Ladung der GAG und PG bildet die Voraussetzung für die hohe Wasserbindungskapazität und Viskoelastizität, die es dem Gewebe erlaubt, nach einer Belastung wieder zum Ausgangszustand zurückzukehren. Das angelagerte Wasser ermöglicht reibungsfreie Verschiebungen der Kollagenfasern. Es dient außerdem als Transportweg für Nährstoffe und Schlacken (Grodzinsky 1983 , Fleischmajer, Olsen und Kuhn 1990 , Currier und Nelson 1992 , Aaron und Bolander 2005).

GAG und PG sorgen nicht nur für Elastizität und Stabilität, sondern haben auch Barriere- und Schutzfunktionen. Wie ein Sieb halten sie großmolekulare Substanzen zurück, die aus den Gefäßen in die Gewebe eindringen könnten, und schützen Zellen und Gewebe vor eindringenden Bakterien, die sich nur mühsam durch das dichte Molekülnetz bewegen können. ... Die Lebensdauer der Hyaluronsäure-Moleküle [> GAG] beträgt zwei bis vier Tage, die der anderen sulfatierten GAG etwa sieben bis zehn Tage. Die Zelle muss also stets ihre Synthese-Aktivität aufrechterhalten, damit die Grundsubstanz nicht schwindet. Abfallprodukte des Auf- und Abbaus von GAG können aus der Zelle freigesetzt werden und wirken als Feedback-Signale zur Kontrolle der Synthese-Aktivität. Auch die mechanische Verformung der Zelle stimuliert die Synthetisierung.

 

Nichtkollagene Proteine

...sind Vernetzungsproteine, von denen sich in den unterschiedlichen Geweben sehr viele verschiedene Arten finden ... Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Kollagenfasern an die Zellmembran anzuheften. Auf diese Weise werden mechanische Kräfte ... auf die Zellmembran übertragen. Da die Synthese-Aktivität der Zelle ... durch mechanische Verformung der Zellmembran beeinflusst werden kann, können extrazelluläre Signale über die Vernetzungsproteine die intrazelluläre Aktivität steuern.

 

Wasser

Der menschliche Körper besteht zu etwa 60-70% aus Wasser, davon sind etwa 70% extrazellulär und 30% intrazellulär. Bis zu 67% des Extrazellulärwassers befinden sich als interstitielle Flüssigkeit zwischen den Zellen, bis zu 20% ... in den Blutgefäßen, der Rest (13%) ist transzelluläre Flüssigkeit im Nervensystem, in Augen, Gelenken etc.

Wasser dient als Transport- und Lösungsmittel, setzt die Reibung herab und wirkt als Wärmepuffer. Es ermöglicht Oxidationen und Reduktionen (für 99% aller chemischen Reaktionen im Körper ist Wasser erforderlich), verleiht dem Gewebe Volumen und hat somit auch mechanische Funktionen.

 

Zellen und Extrazellulärmatrix befinden sich in ständigem Austausch und sind voneinander abhängig. Die Matrix schützt die Zellen vor mechanischer Überlastung. Kräfte, die auf das Netz aus kollagenen und elastischen Fasern in der Grundsubstanz einwirken, werden über Vernetzungsproteine auf die Zellmembranen übertragen. Durch solche Signale wird die Zelle informiert und zur Synthese weiterer Matrixbestandteile angeregt. So stellt sich das Gleichgewicht des physiologischen Matrixab- und -umbaus immer wieder neu ein, und das Gewebe behält seine Festigkeit und Beweglichkeit. Wenn Belastungsreize ausbleiben, nimmt die Synthese-Aktivität der Zelle ab, und die Matrix beginnt zu schwinden. Dadurch verringert sich nicht nur die Stabilität des Gewebes, sondern auch die Mobilität, da sich pathologische Crosslinks ausbilden.

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.4.3, Frans Van den Berg PT,MT,OMT,BSc


Das Fasziengewebe: Strömungsdynamik

Das "Atmen" des Gewebes

...Dynamische mechanische Belastungen und Druckgradienten verursachen in jedem lebenden Gewebe feine Flüssigkeitsströme durch die EZM. Da der Strömungswiderstand in der EZM hoch ist, ist der interstitielle Fluss wesentlich langsamer als der Blutstrom der Gefäße und erfolgt in alle Richtungen (Rutkowski und Schwarz 2006). ... Man kann sich das Bindegewebe wie einen Schwamm vorstellen: Beim Dehnen und Zusammendrücken des Gewebes wird Wasser herausgedrückt, und das Gewebe wird weicher und nachgiebiger. Nach einiger Zeit wird wieder Wasser aufgesogen, und das Gewebe findet zu einem neuen Gleichgewicht. ... Das Auspumpen dient einerseits dazu, proinflammatorische Substanzen und Schlacken auszuwaschen, und andererseits  dazu, Adhäsionen im Kollagennetz zu lösen, um die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung zu verbessern.

Die gleiche Wirkung können die Atmung und der kraniosakrale Rhythmus hervorbringen: ein Ausmelken und Ernähren der Grundsubstanz in Form eines dynamischen Gleichgewichts zwischen Inspiration und Exspiration, mit rhythmischen "Änderungen" des interstitiellen Drucks.

... Bei Kompression-, Traktions-, Torsions- und Schubbelastungen sowie durch Scherkräfte in Flüssigkeiten wirken Kräfte auf Zellen, Rezeptoren und Proteine ein. Wenn sich der interstitielle Flüssigkeitsstrom verlangsamt, wird eine Kontraktion der Lymphgefäße und Zunahme der Frequenz und Amplitude der aktiven Lymphpumpe (lymphatische Vasomotorik) ausgelöst (Gashev, Davis und Zawieja 2002). Die einzelnen Lymphgefäße können sich dabei unabhängig voneinander an die lokalen Veränderungen der interstitiellen Strömung anpassen (Venugopal et al. 2007). ... Da Proteine zu groß sind, um einfach diffundieren zu können, ist eine Strömung erforderlich, um sie aus dem Blut zu den Zellen (oder umgekehrt) zu bringen. Untersuchungen zeigen, dass sich aus Endothelzellen insbesondere dann neue Kapillaren organisieren, wenn sowohl VEGF (vascular endothelial growth factor) als auch ein interstitieller Strom vorhanden sind (Helm et al. 2005).

... Nach der Lösung faszialer Adhäsionen durch myofasziale Techniken ist es sinnvoll, das Bindegewebe durchzuspülen und zu reinigen. Schließlich wird auch der Kampf zwischen Infektionserregern und dem Abwehrsystem des Körpers überwiegend im Bindegewebe ausgefochten und hinterlässt dort Trümmer und Überbleibsel.

... Die Dynamik der Interstitial-Flüssigkeit scheint ein wichtiger Schlüssel zur normalen Gewebe-Funktion und -Homöostase zu sein.

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.4.5.4, Guido F. Meert PT,DO


Das Fasziengewebe & Wundheilung: Ernährung

Da Bindegewebe überwiegend aus Proteinen besteht, ist eine adäquate Eiweißaufnahme im Rahmen der Ernährung wichtig. Prinzipiell kommen pflanzliche und tierische Eiweiße infrage. Tierische Eiweiße sind allerdings Säurebildner und senken den interstitiellen pH-Wert. ... Bei einem pH-Wert von unter 6,5 können die Fibroblasten ihre normalen Synthesefunktionen kaum noch erfüllen. Infolgedessen kommt es zur Gewebe-Degeneration, und die Heilung bleibt aus (Geiersperger 2009 , Van den Berg 2011).

Da Energie von den Mitochondrien vorwiegend durch Verbrennung von Glukose bereitgestellt wird, ist auch ein ausreichender Zuckergehalt der Nahrung wichtig. Wenn Zucker allerdings überwiegend in Form von kurzkettigen Kohlenhydraten zugeführt wird, belastet dies die Bauchspeicheldrüse ... Ein ständig erhöhter Blutzuckerspiegel erschwert die Regeneration und Wundheilung. Raffinierte Zucker sind außerdem säurebildend (s.o.).

Bei Fetten sollte sich der Konsum auf überwiegend ungesättigte Fettsäuren konzentrieren. ... Die nach einer Verletzung benötigten Serie-2-Prostaglandine werden aus Omega-6-Fettsäuren gebildet ; Omega-3-Fettsäuren dagegen aktivieren die Bildung von Prostaglandinen der Serie 1 und 3, die als Gegenspieler zu Prostaglandin 2 die Entzündungsreaktion eindämmen. ...

Vitamine, Mineralien und Spurenelemente sind ebenfalls essentiell für die Stabilität des Bindegewebes. Sie stabilisieren die intermolekularen Brücken im Kollagen (Geiersperger 2009 , Van den Berg 2011).

... Damit den Zellen die richtigen Nährstoffe für ihre Syntheseleistung (im Rahmen des Heilungsprozesses) zur Verfügung stehen, muss das Gewebe ausreichend durchblutet sein.

... Für alle Entgiftungsvorgänge ist Wasser erforderlich. Es muss stets in ausreichender Menge zugeführt werden.

 

... Stress

Bei psychischen Belastungen werden vermehrt Kortisol und andere Stresshormone ausgeschüttet. Kortisol hemmt die Kollagen-Synthese und verlangsamt oder verhindert sogar die Heilung und Regeneration des Gewebes.

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.4.1.7, Frans Van den Berg PT,MT,OMT,BSc


Die Faszie lebt: Wechselbeziehungen mit dem vegetativen Nervensystem

In seinem "klassischen" Beitrag zur Tonizität der Faszie sieht Staubesand eine enge Abängigkeit des Faszientonus vom vegetativen Nervensystem (VNS) (Staubesand und Li 1996). Er vermutete insbesondere, dass unter Sympathikus-Einfluss verstärkte Zell-Kontraktionen in den Faszien-Geweben ablaufen. ... Ein Forscherteam aus dem Bereich der Psychoneuroimmunologie (Bhowmick et al. 2009) berichtete, dass das fehlende Bindeglied zwischen Sympathikus-Aktivierung und T3-Zell-Expression in Lymphknoten ... gefunden sei: das Zytokin TGF-β1, ein bekannter Myofibroblasten-Stimulator. Zu diesem Zeitpunkt war schon seit Langem bekannt, dass eine  Sympathikus-Aktivierung durch Stress, Angst o.Ä. tief greifende Auswirkungen auf die T3-Zell-Aktivierung im Immunsystem hat. Allerdings wusste man nicht, über welche Signal-Kaskaden oder Zytokine die Kommunikation zwischen VNS und Immunsystem abläuft. Nach Klärung dieser Signalverbindung durch die Psychoneuro-Immunologen kann man nun annehmen, dass bei erhöhtem Sympathikus-Tonus die TGF-β1-Expression und somit -da TGF-β1 der stärkste bekannte Stimulator der Myofibroblasten-Kontraktion ist- auch die Faszien-Kontraktilität zunimmt.

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.4.2.5, Dr.Robert Schleip, Dr.Heike Jäger, Dr.Werner Klingler


Fasziale Erkrankungen & Therapie: Triggerpunkte

Myofasziale Triggerpunkte (mTrP) sind weit verbreitet und häufig für Schmerzen im Bewegungssystem verantwortlich (Fishbain et al. 1986 , Jäger und Oye 1989 , Fricton 1990 , Gerwin 1995 , Travell und Simons 1999 , Jarrell 2004 , Doggweiler-Wiygul 2004 , Hwang, Kang und Kim 2005 , Anderson et al. 2006 , Ardic et al. 2006 , Borg-Stein und Wilkins 2006 , Fernández-de-las-Peñas et al. 2006,2007 , Treaster et al. 2006 , Ettlin et al. 2008 , von Stülpnagel et al. 2009).

> Pathophysiologie > Klinische Symptome

 

Faszien und myofasziale Triggerpunkte

Die Faszie umfasst - im weiteste Sinne- alle faserig-kollagenen Bindegewebs-Formationen. ... Nicht nur die äußere Muskelfaszie (Epimysium), sondern auch die dünnen Bindegewebe-Strukturen innerhalb der Muskeln (wie das Endomysium, das die einzelnen Muskelfasern umhüllt, oder das Perimysium, das das ganze Muskefaserbündel umgibt) sind Teil des faszialen Netzwerks (Trotter 1992).

Auf diese Weise ist jeder Muskel untrennbar mit dem Organ Faszie verbunden - genauer gesagt: Er ist ein Teil des Faszienorgans. ... Dabei treiben die Muskelzellen -bildhaft gesprochen- im Fasziennetz umher wie Fische in einem Fischernetz. Durch ihre Bewegung üben sie Zug auf die Faszien-Strukturen aus, der wiederum auf das Periost weitergeleitet wird. Auf diese Weise wird die Zugkraft der Muskeln auf die Knochen übertragen. So gesehen gibt es im Körper nur einen einzigen Muskel, der in 600 oder mehr Faszientaschen "herumlungert" (Myers 2001).

Faszien und Muskulatur stehen also in ständiger und unmittelbarer Wechselbeziehung. Sie bedingen sich gegenseitig und teilen ein gemeinsames Schicksal - in guten wie in schlechten Zeiten.

 

Faszial bedingte Muskel-Dysfunktion

... Eine gestörte Faszienfunktion kann auf unterschiedlichen Wegen zur Entstehung oder Aufrechterhaltung von mTrP beitragen. ...

  • Pathologische Crosslinks schränken die Elastizität des muskulären Bindegewebes ein. ... Durch Verkürzung extramuskulärer Faszien und intermuskulärer Faszien-Verklebungen wird das Zusammenspiel der Muskeln gestört und die Beweglichkeit eingeschränkt. ...
  • Die Faszie nimmt wichtige Aufgaben als Rezeptororgan wahr; eine Faszien-Dysfunktion zieht daher immer einen veränderten Impulsstrom aus den faszialen Mechanorezeptoren nach sich. Faszienstörungen verändern somit die Sensorik (Interozeption, Propriozeption).
  • Die lokale Durchblutungen und Trophik des Muskelgewebes können durch eine fasziale Dysfunktion anhalten gestört werden (-> lokale Hypoxie...). ... Die äußere Muskelfaszie muss den Durchtritt von Nerven und Gefäßen erlauben ... Nerven, Arterien und Venen passieren die Muskelfaszie (Perimysium)  jeweils gemeinsam als "Perforanten-Trias" (Staubesand 1994 , Staubesand und Li 1996). Wenn der Widerstand der äußeren Faszie zunimmt, können Nerven und Gefäße an  diesen Durchtrittsstellen komprimiert werden. Ein solches "Entrapment" der distalsten Nervenabschnitte in der äußeren Faszie eines Muskels verhindert, dass der Nerv -und somit auch der Muskel- optimal funktionieren kann. ... Dadurch werden Kraft, Koordination und Beweglichkeit der Muskeln eingeschränkt; gleichzeitig kann durch die Irritation vasomotorischer Fasern die Durchblutung und damit auch die Regenerationsfähigkeit des Muskels beeinträchtigt werden. [-> Therapie zur Entlastung solcher Mini-Entrapments!] ...

-> Periphere Chronifizierung

 

Biochemisch induzierte Faszien-Dysfunktion

Im Bereich der mTrP verändert sich das biochemische Milieu messbar. Nachgewiesen wurde:

  • eine ausgeprägte Hypoxie (Brückle et al. 1990)
  • eine eindeutige Zunahme von Entzündungsmediatoren (Shah et al. 2005,2008)
  • eine signifikante Erniedrigung des pH-Werts (-> saures Gewebemilieu) (Shah et al. 2005,2008)

Diese nachweisbaren Veränderungen ... begünstigen die Entstehung und Unterhaltung einer Faszien-Dysfunktion. Die Kontraktionsneigung von Faszien wird verstärkt durch ein saures Gewebemilieu sowie durch Botenstoffe, die im Körper bei Entzündungen auftreten (Pipelzadeh und Naylor 1998).

 

Therapeutische Konsequenzen

Eine kausale Therapie der (myo-)faszialen Dysfunktion muss sich an den zugrunde liegenden (patho-) physiologischen Abläufen orientieren. Im Wesentlichen führt eine lokale Ischämie zur Hypoxie ... die Folgen sind:

ATP-Mangel ("Energiekrise") mit Bildung von Rigor-Komplexen (Fehlen der "Weichmacher"-Wirkung von ATP)

lokale Entzündungsrozesse, auf die das Gewebe mit Adhäsionen und Schrumpfung reagiert.

Allgemeiner Ablauf einer Triggerpunkt-Therapie:

  1. manuelle Kompression des mTrP >> Auspressen der "entzündlichen Suppe" und des lokalen Ödems > auf Ischämie folgende reaktive Hyperämie (-> Stoffwechsel-Steigerung) > reflektorische Detonisierung des zum mTrP gehörenden Hartspannstrangs
  2. manuelle Dehnung der TrP-Region >> Auspressen der "entzündlichen Suppe" und des lokalen Ödems > auf Ischämie folgende reaktive Hyperämie (-> Stoffwechsel-Steigerung) > reflektorische Detonisierung des zum mTrP gehörenden Hartspannstrangs > Zerstörung des lokalen Rigor-Komplexes > Aufdehnen reaktiv entstandener bindegewebiger Adhäsionen (pathologische Crosslinks) und Verkürzungen
  3. Fasziendehnung >> Lösung reaktiv entstandener bindegewebiger Adhäsionen (pathologische Crosslinks) und Verkürzungen > Stimulierung faszialer Mechano-Rezeptoren (-> reflektorische Detonisierung des zum mTrP gehörenden Hartspannstrangs -> Senkung der Sympathikus-Aktivität -> Senkung des globalen Grundtonus)
  4. Faszientrennung >> Lösen von Verklebungen zwischen Faszien benachbarter Muskeln (-> Verbesserung der intramuskulären Beweglichkeit)
  5. Dehnung/Detonisierung >> Verbesserung der Dehnbarkeit des Muskels
  6. funktionelles Training >> physiologische Belastung und Bewegung unterstützt den Regenerationsprozess und macht die Muskeln belastbarer > Ergonomie reduziert Fehlbelastungen der Muskulatur

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.5.7., Roland U. Gautschi MA dipl.PT  / s.a. Web: >> das myofasziale Schmerzsyndrom


Faszienorientierte Therapieformen: Rolfing

...Rolfing funktioniert unter der Voraussetzung, dass die Faszie

  • ein strukturelles und funktionelles Kontinuum darstellt
  • aufgrund ihrer Viskoelastizität formbar ist
  • Informationen aufnehmen und durch den Körper leiten kann
  • auf das Schwerefeld reagiert

Die Faszie bildet ein zusammenhängendes Netzwerk, das den gesamten Körper durchzieht und alle Muskeln, Nerven und Organe umhüllt ...

Dicht besetzt mit verschiedenen Mechanorezeptoren bildet das Fasziennetz ein körperweites Sinnesorgan für mechanische Reize (Schleip 2003), das uns mitteilt, wie wir im Raum ausgerichtet sind und was unser Körper gerade tut. Indem sie Informationen aufnehmen und durch das Fasziennetz weiterleiten (Langevin 2006), fungieren die Mechanorezeptoren als Teil der neuromotorischen Eigenregulation.

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.7.3.2, Monica Caspari und Heidi Massa (Certified Advanced Rolfer)


Faszienorientierte Therapieformen: Myofasziale Techniken

...Wissenschaftliche Untersuchung myofaszialer Techniken ... klinische Reaktionen bei Kranken und Gesunden

* im Anschluss an eine körperliche Anstrengung erholten sich Herzfrequenz-Variabilität und Blutdruck nach myofaszialem Release schneller ... (Arroyo-Morales et al. 2008)

 

* in einer Studie konnte gezeigt werden, dass durch myofasziale Behandlung (Fernández-Pérez et al. 2008)

  • die Zirkulation von Antikörpern in der Grundsubstanz effizienter wird
  • die Durchblutung im Restriktionsgebiet zunimmt
  • die Fibroblastenmechanik verbessert wird
  • das Nervengewebe stärker durchblutet wird
  • der Fluss der Metaboliten zum und vom Gewebe unterstützt wird, sodass Erholungsprozesse beschleunigt werden

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.7.4.4, Andrzej Pilat PT


Faszienorientierte Therapieformen: Gua Sha

... Gua Sha und Bindegewebe

Schmerzkrankheiten oder -zustände können von Veränderungen oder Entzündungen des Bindegewebes begleitet sein und sprechen erfahrungsgemäß auf manuelle Therapien wie Gua Sha gut an. ... Es wird angenommen, dass die Einwirkung von mechanischer Kraft und Dehnung eine Veränderung der zellulären Aktivität -inklusive der Aktivität sensorischer Nervenendigungen- im Gewebe bewirkt, und zwar mit regenerativer Gesamtwirkung (Iatridis et al. 2003 , Standley und Meltzer 2008 , Corey, Stevens-Tuttle und Langevin 2009)...

 

... Modelle [Vergleich mit Traditioneller Ostasiatischer Medizin]

Nach Iatridis et al. "könnte die Funktion des lockeren Bindegewebes darin bestehen, mechanische Signale von und zu den zahlreichen Fibroblasten, Immun-, Gefäß- und Nervenzellen innerhalb der Gewebe zu übermitteln".

Das funktionelle Paradigma des Organ- und Leitbahnsystems der TOM, das im Verlauf einer über 2000-jährigen Geschichte entwickelt wurde, um Krankheiten zu erklären und Behandlungen (u.a. Akupunktur und Gua Sha) aufzuzeigen (So 1987 , O´Connor und Bensky 1981), stellt eine ganz ähnliche Physiologie der Leitfähigkeit dar.

Im Zentrum dieses Konzepts [TOM] steht das "Qi", das als Form und Funktion definiert ist (Kaptchuk 2000), häufig aber fälschlicherweise als pure "Energie" bezeichnet wird. In alten Texten werden drei "Qi" beschrieben, die in der "Cou Li" dampfen (Epler 1980), wobei "Cou Li" als "Zwischenschicht" oder "Poren" übersetzt wird, da es den Körper regulierend öffnen und schließen kann (Epler 1980 , Unschuld 1986) [mit "Zwischenschicht" werden die subkutanen Gewebeschichten bezeichnet, die die Verbindung zwischen Kutis -also Oberhaut und Lederhaut- und tiefer liegenden Geweben -Muskeln und Organen- herstellt -> also allgemein das Bindegewebe]

In der TOM wurde die "Zwischenschicht" estmals als ein Organ aufgefasst: als der San Jiao oder "Dreifacher Erwärmer" (Unschuld 1986/2011). Es ist bzw. war das einzige Organ, dem eine strukturelle Entsprechnung in der westlichen Medizin fehlte - bis in letzter Zeit ein verstärktes Interesse am Bindegewebe aufkam.

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.7.10.5, Arya Nielsen PhD

www.guasha.com


Faszienorientierte Therapieformen: Fasziendistorsionsmodell

Das Bindegewebe als mechanosensibles System

... Überall, wo Krankheiten, Tumoren oder Verletzungen Schäden im Körper verursachen, treten Schmerzen auf, sobald die Faszie betroffen ist. ... In seiner Gesamtheit bildet das Fasziennetz ein komplexes und präzise arbeitendes mechanosensibles System. Nicht nur die Position der Extremitäten wird ständig registriert, sondern auch alle traumatischen oder metabolischen Störungen.

 

Der Patient ist der Experte - das Typaldos-Modell

Die Schulmedizin nutzt dieses äußerst komplexe Informationsnetz kaum. Ärzte ignorieren es sogar in zunehmendem Maße und verwenden stattdessen technische Geräte zur Untersuchung. Der Patient hat den Eindruck, dass seine eigene Wahrnehmung und Beschreibung seiner Schmerzen und Beschwerden den diagnostischen Prozess eher behindert als unterstützt. Entsprechend oft wird eher eine Magnetresonanz-Tomographie durchgeführt, um die Störung zu lokalisieren, auch wenn die entscheidenden Studien zeigen, dass die Eignung der MRT zur Identifizierung einer Schmerzquelle trotz der hervorragenden Auflösung zweifelhaft ist (Jensen 1994 , Chou 2009).

Bei den heutigen medizinischen Behandlungsansätzen ist zumeist der Therapeut der Fachmann, der die Diagnose aufgrund seiner umfangreichen Ausbildung und Erfahrungen stellt. Der Patient dagegen wird oft nicht in diesen Prozess einbezogen, da er nicht die gleiche Sprache spricht wie der Therapeut und daher den Eindruck gewinnt, dass sein Wissen wertlos ist.

Diese frustrierende Erfahrung stand auch am Anfang von Stephen Typaldos´ Fasziendistorsionsmodell (FDM). ... Typaldos begann also stattdessen die Patienten selbst zu fragen, was für eine Art von Behandlung ihnen ihrer Meinung nach helfen würde, und zur großen Überraschung der Patienten führte er diese Behandlung dann auch durch ... Typaldos gewann den Eindruck, dass die Patienten unbewusst genau wussten, was ihnen fehlte und wie man es behandeln konnte. Als er die Beschreibungen und die Gesten der Patienten analysierte, fielen ihm charakteristische Elemente auf, deren gemeinsamer Nenner die Faszie zu sein schien. ... Er identifizierte und definierte sechs Veränderungsmuster und nannte seine neuen Diagnosen "Fasziendistorsionsmuster".

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.7.15.1+2, Dr.med. Georg Harrer


Faszienorientierte Therapieformen: Temperatur~

...~Einflüsse auf die Faszie

Die Anwendung von Wärme ist eine gängige Behandlungsform bei Muskelbeschwerden ...

Auf den ersten Blick scheint das Temperaturverhalten des Skelettmuskels und der angrenzenden Faszie unvereinbar; aus physiologischer Sicht ist die Kombination  jedoch durchaus sinnvoll. ...

Muskelarbeit produziert Wärme, die -im Sinne eine positiven Rückkopplung- die Voraussetzungen für den Stoffwechsel verbessert. ... Bei einem Temperaturanstieg um einige Grad Celsius ... nimmt die Viskoelastizität der Faszie signifikant zu. Dadurch wird der Muskel weniger durch den Faszienwiderstand behindert und sein Bewegungsumfang nimmt zu. In den meisten Fällen entsteht so ein Funktionsgewinn bei körperlicher Aktivität. Bei geringen Temperaturen, also Inaktivität, ändert sich das viskoelastische Verhalten dann andererseits so, wie es für die Funktion der Stabilisierung und Lastaufnahme dienlich ist. ...

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Wärmeanwendung im therapeutischen Bereich bei vielen Faszienkontrakturen ... entspannend wirkt. ...

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.7.18, Dr.med. Werner Klingler


Faszienorientierte Therapieformen: Fasziendehnung

Mechanische Längenzunahme

Alle Säugetiere reagieren auf alle möglichen Arten von Verletzungen sowie virale und bakterielle Infektionen mit einer Entzündung. Ein Bestandteil dieser Entzündungsreaktion ist häufig die Kontraktion der neuromyofaszialen Gewebe (Grinnel 2009). Beim Menschen können außerdem verschiedene weitere Stressoren als Reaktion Kontraktionen der quergestreiften und glatten Muskulatur auslösen. Langfristige Probleme entstehen dabei nicht so sehr durch die reflektorisch oder einstellungsbedingt auftretende Hypertonie, sondern vielmehr dadurch, dass Tonus und Gewebespannung anschließend -selbst wenn die Bedrohung, das Trauma oder der Stress vorüber ist- nicht wieder in den Normalbereich zurückkehren. ...

 

Hydration von Gewebe

Man nimmt an, dass durch Dehnung der Flüssigkeitstransport in dehydrierte Gewebe gesteigert wird, andererseits aber auch Ödeme beseitigt werden, indem überschüssige Flüssigkeit aus dem Interzellularraum in die Lymphspalten gepresst wird. Wie wichtig die ausreichende Versorgung des Gewebes mit Flüssigkeit ist, kann man sich am besten deutlich machen, wenn man die Wechselbeziehungen zwischen Wasser und Proteinen bedenkt. Wasser ist nicht nur das unverzichtbare Medium für den Zellstoffwechsel, vielmehr hängt auch die Strukturstabilität und -flexibilität der Proteine entscheidend von der Oberflächenhydration ab (Chen, Weber und Harrison 2008). ...

Mit der Magnetresonanz-Tomografie lässt sich zeigen, dass Wasser bei einer Dehnung aus den unter Zug gesetzten Sehnen herausgepresst wird (Helmer, Nair und Cannella 2006). ... Klingler und Mitarbeiter untersuchten die Wasserbindungsfähigkeit der Grundsubstanz im Fasziengewebe von Schweinen (Klingler, Schleip und Zorn 2004). Sie beobachteten nach einer Dehnung zunächst eine Abnahme des Wassergehalts ; nach einer 30-minütigen Ruhepause überstieg dieser dann jedoch den Ausgangswert und nahm über einen Zeitraum von bis zu drei Stunden nach der Dehnung immer weiter zu, wobei sich auch die elastische Steifigkeit des Gewebes entsprechend erhöhte. Die Autoren schlossen daraus, dass in der Faszie auf einen mechanischen Reiz hin hydrodynamische Anpassungsvorgänge ablaufen. Vorstellbar wäre eine Art Schwamm-Mechanismus, durch den das Gerüst aus hydrophilen Glukosaminglykanen und Proteoglykanen mechanisch ausgepresst und wieder aufgefüllt wird. ... Auf diese Weise können sowohl Ödeme vermindert als auch die Wasserversorgung unterversorgter Proteine verbessert werden, sodass die Dehnbarkeit des  Gewebes zunimmt.

 

Direkte zelluläre Wirkungen

Durch einen Dehnungsreiz werden Veränderungen der Bindegewebe-Zellfuntionen ausgelöst ... Allgemein wird angenommen, dass eine erhöhte Zugspannung in der ExtraZellulärMatrix die Fibroblasten zur verstärkten Kollagenbildung anregt, sodass die Dicke der Matrix zunimmt (Oschmann 2000). Tatsächlich ordnen sich die Zellen und die von ihnen gebildeten Fasern entsprechend einer Zugbelastung an und zeigen Veränderungen der Funktion und Genexpression. ... Eine zyklische mechanische Fasziendehnung bewirkt Veränderungen der Genexpression und Proteinsynthese mit Auswirkungen sowohl auf die intrazelluläre als auch die extrazelluläre Matrix (Chen et al. 2008). Es ist nicht klar, ob die Dauer einer normalen therapeutischen Dehnung ausreicht, um diesen Effekt zu erzielen, aber bei ausreichend häufig wiederholter Dehnung könnten sie theoretisch eintreten (Standley 2009). ... In der klinisch wohl relevantesten Studie (Standley 2009) wurde festgestellt, dass sich durch eine 90 Sekunden andauernde simulierte "manuelle" Therapie die Auswirkungen einer 8-stündigen monotonen Belastung (repetitive strain -> z.B. posturales Set [Haltung], eintönige Bewegungen bei Sport und Arbeit) durch die die Zellen umgebende Matrix deutlich reduzieren ließen. ... Dieses neu entdeckte "Kommunikationssystem", das in seiner Komplexität dem Nervensystem und Gefäßsystem in nichts nachsteht, "hört" auf die Hinweise durch absichtliche oder unabsichtliche Dehnungen des Gewebes und passt sich stets entsprechend an.

 

Bei der Faszientherapie lassen sich Dehnungen nicht vermeiden und bei jeder Dehnung sind unweigerlich auch fasziale Gewebe betroffen. Die verschiedenen Bindegewebe reagieren in Abhängigkeit von ihrer Dichte und Zusammensetzung unterschiedlich auf Dehnung - im Allgemeinen durch eine Kombination aus mechanischer Längenzunahme, Gewebehydration und Geweberehydration, propriozeptive Rückkopplung und zelluläre Reaktionen.

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.7.20.4+5, Thomas Myers LMT und Christopher Frederick PT


Faszienorientierte Therapieformen: Pilates und die Faszie

... die Kunst des "Work-in"

... Bei Pilates geht es um Haltungssymmetrien (Ausrichtung), Atemkontrolle, Kraft aus der Mitte (Core), Stabilität in der Wirbelsäule, Becken und Schultergürtel, ausgeglichenen Muskeltonus und Gelenkbeweglichkeit innerhalb des gesamten Bewegungsspektrums (Pilates 1945/1998). ... Das Fasziennetz fungiert mechanisch als ein biegsames "Weichteilskelett", das für Stütze, Formerhalt und Zugspannung im gesamten Körper sorgt. Daneben hat die Faszie jeoch noch eine zweite Funktion: Sie dient der Neurokommunikation und kann durch verschiedene im Bindegewebe vorhandene Mechanorezeptoren sowie Glattmuskelzellen (Myofibroplasten) andere Systeme im Körper beeinflussen bzw. einander anpassen. Als integriertes System überträgt sie Zug- und Druckkräfte und kann so auch die Zellfunktion verändern (Ingber 1998). ... Über ihre Myofibroplasten bildet die Faszie indirekt ein Bindeglied zum vegetativen Nervensystem. Auf diesem Weg können Zustand und Tonus der Muskulatur durch Atemstörungen (pH-Änderungen), emotionale Belastungen oder die Ernährung beeinflusst werden (Myers 2009 , Oschman 2003). In unserer modernen Zeit führen belastende Lebensbedingungen nicht selten dazu, dass die für die körperliche Gesundheit erforderliche Bewegung und Beweglichkeit verloren geht. Beispielsweise erstarren bei einem "Leben am Schreibtisch" ohne genügenden Ausgleich durch sportliche Aktivität Körper und Faszie (Beach 2010). Die Pilates-Methode richtet sich daher nicht auf isolierte Muskelgruppen, sondern auf die Integration des gesamten Körpers. ...

 

Der Atem bei Pilates

Hyperventilation und ähnliche Atemstörungen führen zu einer respiratorischen Alkalose und Kontraktion der glatten Muskulatur. Dadurch kann, da Glattmuskelzellen auch überall im faszialen Netz eingestreut liegen, der Faszientonus steigen (Chaitow 2002). Pilates lehrte, dass eine aktive, bewusste Ausatmung Voraussetzung für die nachfolgende volle Einatmung ist, und die vollkommen ausgeglichene Atmung ist Teil jeder Pilates-Übung. Die Kombination aus Bewegung und integriertem Atem sollte nach Pilates die Blutzirkulation unterstützen. Dieses Konzept wurde übrigens durch atmungsphysiologische Untersuchungen (Chaitow 2002) bestätigt, aus denen hervorgeht, dass eine spezifische und gerichtete Koordination zwischen Atmung und Bewegung die Kreislauf-Funktion und Elimination von Stoffwechselschlacken anregt sowie die Hydratation des Bindegewebe fördert.

Die richtige Atmung ist eine wesentliche Voraussetzung für die fasziale und allgemeine Gesundheit. ... Diese Auffassung wird durch umfangreiche anatomische Untersuchungen bestätigt, die ... zeigen, dass enge fasziale Verbindungen zwischen dem respiratorischen System und der myofaszialen Tiefen Frontallinie [= "Core-Haltemuskeln"] bestehen (Myers 2009).

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.7.22, Marie-José Blom


Faszienelastizität: Allgemeine Fitness

... [besonders bei -hypermobilen- Gelenkproblemen] Schwimmen und Aquajogging sind günstige Trainingsformen ... Tai Chi und Pilates sind ebenfalls empfehlenswert, da sie Gleichgewicht und Bewegungskontrolle fördern. Auch Radfahren ist eine günstige Form des aeroben Trainings, bei der die Gelenke nicht überlastet werden. Nordic Walking kann ebenfalls effektiv sein. Man geht davon aus, dass bei dieser Aktivität, die in der sogenannten geschlossenen Kette stattfindet, die propriozeptive Rückmeldung unterstützt wird und die Muskelschlingen des Rumpfs angesprochen werden, sodass sich die Rumpfstabilität verbessert.

Quelle: Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing), Kap.6.3.6, Jane Simmonds PD,MA,BAppSc(Physio),BPE


Faszientraining: Grundsätze

  • Ganzkörperbewegungen, die möglichst lange Muskelketten einbeziehen, haben günstigere Wirkungen auf das myofasziale System als isoliertes Muskeltraining. Dabei sollte Abwechslung in Bewegungsrichtung, Krafteinleitung und Geschwindigkeit gewählt werden (Huijing 2007).
  • Spezifische Übungsformen zur Verbesserung faszialer Elastizität sollten fester Bestandteil des Trainings sein - z.B. leicht federnde Bewegungen oder Bewegungsausführung nach Gegenbewegung (z.B. Rumpfvorneigung vor Aufrichtung der Wirbelsäule aus der Sitzposition).
  • Manuelle Stimulation der Haut-/Oberflächengewebe führt zu einer Steigerung der Propriozeption und Eigenwahrnehmung und verbessert anschließende Bewegungsausführungen. Der Sportler soll "fasziale Strukturen spüren" lernen.

Quelle: Myofasciale Schmerzsyndrome (Dr.med.Stephan Biesenbach , MVZ-RS Unfallchirurgie)


Quellen und empfohlene Literatur zur Weiterführung & Vertiefung:

Die MELT Methode (riva 2015 > original: The MELT Method , Sue Hitzman 2013), www.meltmethod.com

Lehrbuch Faszien (Elsevier 2014 , Schleip/Findley/Chaitow/Huijing)

Faszientraining (GU 2015 , Dr.med.Tempelhof/Weiss/Cavelius)

Faszien in Bewegung (Meyer&Meyer 2014 , Gunda Slomka)

 

Studien und Beiträge aus der Wissenschaft:

"Muskel-Faser-Verhalten bei Gegenschwung-Übung und die bedeutende Rolle der Sehnen" - Kawakami, Muraoka, Ito, Kanehisa, Fukunaga (2002) >> https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2290252/